Auf dem Weg in den Ranft am Ranfttreffen 2022. (Foto: Christian Reding) Auf dem Weg in den Ranft am Ranfttreffen 2022. (Foto: Christian Reding)

Liebe Leserin, lieber Leser

Die gegenwärtige Zeit ist dunkler als auch schon. Gewalt, ja Terror im Osten Europas und im Heiligen Land bedrücken uns und machen uns sprachlos. Die wirtschaftlichen Aussichten bei uns sind eingetrübt, die Energie- und Lebenskosten sind hoch und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlieren ihre Stelle. Eine Notzeit also, die auch aufs Gemüt der Menschen schlägt. Auch die Kirche durchläuft eine schwierige Zeit, in der sie stark kritisiert wird. Aber sie hat den Mut, sich der Missbrauchsproblematik zu stellen und für begangene Fehler hinzustehen, während über die Kirche hinaus zu dieser gesamtgesellschaftlichen Problematik geschwiegen wird. Ein Blick in Kirche und Welt, die zum Christsein dazugehört, zeigt uns also ganz unterschiedliche Menschen und Situationen, woraus deutlich wird, dass die Wirklichkeit desintegriert, widersprüchlich und zerrissen ist. Um diese Wahrnehmung kommen wir nicht herum, wenn wir uns in diesem Jahr auf die Menschwerdung Christi vorbereiten. Die Tür unseres Herzens soll offen sein, und wir sollen uns nicht in eine kuschelige und scheinbar heile Privatsphäre zurückziehen, in der die schwierige Wirklichkeit ausgeblendet wird.

Jesus Christus nimmt mit seiner Menschwerdung, die nicht einfach ein alleinstehendes Ereignis vor gut 2000 Jahren war, sondern immer wieder neu stattfindet, diese unsere Welt als seine eigene Welt an. Unsere so zerrissene Welt ist auch seine Welt, die er als Herr, Freund und Bruder sich zu eigen macht und so mit uns auf dem Weg ist – klein wie das Kind, oftmals kaum wahrnehmbar, oftmals nur zeichenhaft anwesend. Gottvater, Gottsohn und der Heilige Geist kreisen nicht in sich selbst, sondern haben sich mit der Menschwerdung Jesu Christi sozusagen an die Welt gebunden und mit ihr solidarisch gemacht, selbst wenn sich Menschen gegen Gott entscheiden. Oder wie Gisbert Greshake es in seinem sehr lesenswerten Weihnachtsbuch «Gottes Karriere nach unten» (Herder 2020) formuliert: «Gott und Mensch haben durch die Menschwerdung Gottes unauflösliche Einheit gefunden.» So ist uns eine neue Freiheit geschenkt, Hoffnung auf einen immer möglichen Neuanfang.

Im Evangelium des Weihnachstages fasst Johannes die Weihnachtsbotschaft in einem Satz zusammen: «Und das Wort ist Fleisch geworden» (Joh 1,14). Das Wort «Fleisch» bezeichnet den Menschen in seiner Niedrigkeit und in seinem Elend, ja in seiner Todesverfallenheit. Für Paulus bedeutet Fleisch das «Fleisch der Sünde» (Röm 8,3). Jesus entäussert sich und wird Mensch, «in allem uns gleich ausser der Sünde». Das Johannesevangelium schildert uns die Situation, dass mit der Menschwerdung Christi die Welt in einer Krise ist, wo es gilt sich zu entscheiden. Die einen lehnen Jesus ab, die johanneische Gemeinde bekennt dagegen: «Aber wir, wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes beim Vater, voller Gnade und Wahrheit» (Joh 1,14). Wir haben seine Herrlichkeit gesehen in seiner Niedrigkeit, in seiner radikalen Hingabe für uns. Wir sind aufgerufen, gerade am Weihnachtsfest uns auf die Spuren Gottes in unserer Welt aufzumachen und ihn in den Widersprüchlichkeiten dieser Welt zu finden.

Gott in dieser Welt zu finden wird möglich, weil der Gottessohn nicht eine Karriere nach oben gemacht hat, sondern nach unten. Gott ist im wahrsten Sinne des Wortes «heruntergekommen», zu uns hinabgestiegen, indem er Mensch wurde, indem er als Kleinkind flüchten musste, verfolgt und hingerichtet wurde. Er ist somit auf dem letzten Platz, solidarisch mit allen, die «untendurch» müssen. Gott nahm und nimmt das menschliche Elend an, damit wir Anteil an seinem göttlichen Leben haben. Mit seiner Geburt verweist uns Jesus auf die Welt, in der wir leben. Wir sind eingeladen, ihn bei uns zu suchen.

So ist Gottes Welt auch meine Welt und umgekehrt. Genau das ist der Grund zur Freude, der Grund dafür, Gott zu loben und dafür zu danken, dass er zum Licht der Welt geworden ist, zum Licht meines eigenen, manchmal banalen Alltags. Jesus selbst hat während dreissig Jahren diesen menschlichen Alltag gelebt, und er trägt nun als Gekreuzigter und Auferstandener auch unseren Alltag mit. Die Anwesenheit Gottes in unserer Welt und in meinem Alltag ist genau der Grund dafür, dass wir Weihnachten auch heute feiern dürfen. Wenn ich meine Tür für Gott öffne, wird meine Welt heller und lichtvoller – der beste Grund für ein schönes Fest.

Ich wünsche Ihnen von Herzen das Licht, die Freude und den Frieden Gottes, die uns in diesen dunklen Tagen durch Weihnachten geschenkt werden!

Urban Fink-Wagner, Geschäftsführer

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